Bremerhaven

Fakten für Debatte in Bremerhaven: Pro & Contra Tempo 30 in der Stadt

Was spricht für Tempo 30 in der Stadt und was dagegen? Das Umweltbundesamt und der ADAC haben sich mit der Frage beschäftigt. Wir liefern Pro und Contra für die aktuelle Debatte - und sagen, welche Fragen sich Bremerhaven stellen muss.

Nicht nur direkte Anwohner, sondern auch Menschen aus dem Quartier wünschen sich, dass Verkehr in Bremerhaven aktiv gelenkt wird - und wie hier in der „Alten Bürger“ mit Tempo 30 beruhigt.

Nicht nur direkte Anwohner, sondern auch Menschen aus dem Quartier wünschen sich, dass Verkehr in Bremerhaven aktiv gelenkt wird - und wie hier in der „Alten Bürger“ mit Tempo 30 beruhigt. Foto: Lothar Scheschonka

Was gilt in Deutschland? In Deutschland gilt seit 66 Jahren in Städten Tempo 50. Nur in besonderen Fällen kann davon abgewichen werden. Eine Änderung von 2017 bewirkt, dass um Tempo 30 vor sozialen Einrichtungen, Schulen, Kitas, Alten- und Pflegeheimen, Klinken auszuweisen, kein besonderer Grund vorliegen muss - hier soll Tempo 30 die Regel sein.

Mit der Initiative „lebendige Städte“ wollen mehr als 260 Kommunen mehr Möglichkeiten haben, Tempo 30 auszuweisen. Im Bündnis sind aus der Umgebung Oldenburg, Bremen und Cuxhaven dabei, Bremerhaven nicht. In Mainz und Hannover gilt in der gesamten Innenstadt Tempo 30.

Spanien und Schweden sind die Vorreiter

Schweden richten innerorts Tempo 40 ein, im finnischen Helsinki gilt das bereits. Spanien hat als erstes Land der Welt Tempo 30 als allgemeines Tempolimit für städtische Straßen mit einer einzigen Fahrspur pro Richtung umgesetzt. Das betrifft 80 Prozent der Straßen. Tempo 30 in der City gilt in den Innenstädten beispielsweise von Paris, Amsterdam, Antwerpen, Brüssel, London, Lille und Grenoble, Basel und Graz.

Was macht Europa? Was sagt der ADAC? Bei Tempo 30 reduziert sich der Anhalteweg deutlich. Bei einem Zusammenstoß wird die Unfallschwere gemildert, deshalb hat der Automobilclub Tempo 30 in Wohngebieten befürwortet. Auf Hauptverkehrsstraßen hätten Ampeln an Kreuzungen Einfluss auf die Verkehrssicherheit. Dort sollte Tempo 30 nur gelten, wenn viele Radfahrer auf der Straße mitfahren oder viele Fußgänger unterwegs sind.

Laut ADAC werde - bei geringem Verkehrsaufkommen - eine Fahrt bei Tempo 30 um bis zu zwei Drittel länger. Der ADAC fürchtet, dass Autos dann auf Nebenstraßen ausweichen. Zudem glaubt er, dass viele Leute Tempo 30 nicht akzeptieren werden. Er macht im Stadtverkehr hohe Drehzahlen für den Lärm verantwortlich - die gäbe es auch bei Tempo 30. In Wohngebieten („Rechts vor links“) führe 30 zu geringerem Ausstoß.

Wie werden Wohnstraßen definiert?

Was unterscheidet Wohn- und Hauptstraßen? Laut ADAC stehe die Aufenthaltsfunktion im Vordergrund. In Wohnstraßen sei Tempo 30 sinnvoll, noch besser, wenn es Tempo-30-Zonen sind. Auf Hauptverkehrsstraßen soll ein Großteil des Verkehrs gebündelt werden.

Was sagt das Umweltbundesamt? Das Umweltbundesamt hat erforscht, wie sich Tempo 30 in der Stadt auf Verkehr, Lärm und Luftschadstoffe auswirkt. Grundlage waren Simulationen in drei Beispielstädten. Sie ergeben enorme Lärmentlastungen besonders an Hauptverkehrsstraßen.

Lärm in der Stadt nehme deutlich ab

Stadtweit sinke die Lärmbetroffenheit deutlich. Auch straßenverkehrsbedingte Luftschadstoffe, wie Stickoxide und Feinstaub können leicht zurückgehen. Die CO2-Emissionen werde kaum beeinflusst.

Das Amt empfiehlt Tempo 30 - nur an geeigneten Hauptverkehrsstraßen sollten höhere Geschwindigkeiten als Ausnahme zulässig bleiben. Die Kommunen könnten das Risiko für Verkehrsverlagerungen in die Nebenstraßen vorab prüfen und mit Begleitmaßnahmen entgegenwirken.

Parken in zweiter Reihe hemmt Verkehrsfluss viel mehr

Das Umweltbundesamt widerspricht mit seiner Forschung einigen der ADAC-Thesen: Nicht Tempo 30, sondern Faktoren wie Ampelschaltung, querender Fußgänger oder Bushalte, Parkvorgänge oder Halten in zweiter Reihe hätten größeren Einfluss auf den Verkehrsfluss.

In der Praxis, so heißt es in der Studie, wurden bei Messfahrten Reisezeitverluste an Tempo-30-Strecken von 0 bis 4 Sekunden je 100 Meter festgestellt. Dies sei auch bei längeren Abschnitten volkswirtschaftlich kaum relevant. Wichtiger für die subjektive Wahrnehmung und damit die Akzeptanz von Tempo 30 sei die Homogenität des Verkehrsflusses. Der Verkehrsfluss kann Messungen zufolge bei Tempo 30 sogar besser sein. Video: https://www.youtube.com/watch?v=T7qcdYim-T8&t=235s

Es fehlt der Verkehrsentwicklungsplan

Fazit: Tempo 30 überall? Für den großen Wurf wie es Nachbarländer machen ist Bremerhaven - wie manch andere deutsche Stadt auch - nicht bereit. Dass die Stadt lang und schmal ist, macht es nicht einfacher.
Selbst die Grünen plädieren - auch wegen des Busverkehrs - auf der Hauptachse durch die Stadt und den Autobahnzubringern für Tempo 50. Doch Deichstraße oder auch Straßen wie Pestalozzistraße, „Alte Bürger“ , Parkstraße oder An der Mühle liegen nicht auf dieser Achse. Deren Bewohner wünschen sich weniger Belastung und Lärm durch Verkehr. Warum erfüllt man diesen Wunsch Menschen in einigen Wohnvierteln und in anderen nicht? Braucht Bremerhaven nicht mehr attraktives Wohnen? Ein Verkehrsentwicklungsplan könnte diese Frage beantworten. Der fehlt aber.

Lesen Sie im nächsten Teil, wo Bremerhavener sich Tempo 30 wünschen oder warum sie dagegen sind.

Maike Wessolowski

Reporterin

Maike Wessolowski wurde in Remscheid geboren. Die ausgebildete Reiseverkehrskauffrau und Reporterin lebte und arbeitete in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen, bis sie 2018 in Bremerhaven festmachte. An der Region schätzt sie: Menschen, Maritimes, Möglichkeiten.

0 Kommentare
Newsletter Der ZZ-Newsletter
Alle wichtigen Nachrichten und die interessantesten Ereignisse aus der Region täglich direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Mit Empfehlung aus der Redaktion.
PASSEND ZUM ARTIKEL
nach Oben