Werder Bremen

Jetzt spricht der neue, alte Heeslinger Philipp Bargfrede

Philipp Bargfrede spricht im Interview über seinen Abschied als Spieler von Werder Bremen, die vielen Verletzungen in seiner Karriere, zwei späte Abstiege und vieles mehr.

Philipp Bargfrede kann auf eine spannende Karriere zurückblicken.

Philipp Bargfrede kann auf eine spannende Karriere zurückblicken. Foto: Carmen Jaspersen/dpa (Archiv)

Auf dem Platz kannte Philipp Bargfrede keine Gnade, da hat er sich und seine Gegner nie geschont, um mit dem SV Werder Bremen erfolgreich zu sein. Nach 19 Jahren an der Weser wird er nun keine Pflichtspiele mehr für die Grün-Weißen bestreiten, der 34-Jährige wechselt zum Oberligisten Heeslinger SC. Denn ohne Fußball geht es im Leben von Philipp Bargfrede nicht. Dabei hat ihm sein Sport viele Schmerzen beschert, immer wieder ist er mit schweren Knieverletzungen ausgefallen. Trotzdem stand er in 206 Bundesligaspielen für Werder auf dem Platz. Hinzu kommen 15 Partien im internationalen Geschäft. Zuletzt war er noch für die U23 in der Regionalliga im Einsatz. Im Interview mit der DeichStube spricht Bargfrede ganz offen über seine Fitnessprobleme, seine besondere Rückennummer 44 und zwei späte Abstiege.

Sechs Tore in der abgelaufenen Regionalliga-Saison der U23 und nun am Wochenende ein Dreierpack für die Traditionsmannschaft – sind Sie etwa bei den Werder-Profis als Sechser immer falsch eingesetzt worden? Ja, absolut! Ich lasse jetzt viele Wege nach hinten einfach weg, die ich früher gemacht habe (lacht). Ne, ernsthaft: Ich habe immer mehr defensiv als offensiv gedacht und versucht zu erahnen, was gleich passieren kann. Da musst du als Sechser gedanklich einfach etwas weiter sein.

Ihnen wurde ein ordentlicher Wumms nachgesagt, aber Sie haben nur selten aufs Tor geschossen, warum? Wenn ich mal in Schussposition gekommen bin, hatte ich meistens schon ein paar Läufe in den Knochen. Das macht es nicht leichter. Und das Thema Fitness war bei mir ja ohnehin sehr speziell durch die vielen Ausfallzeiten.

Glauben Sie, dass für Sie ohne die vielen Verletzungen – gerade an den Knien – noch mehr möglich gewesen wäre? Auf jeden Fall! Ich war viel zu selten topfit. Das habe ich doch selbst gemerkt. Es war schwer für mich, den Rhythmus zu finden. Das ist echt schade.

Was macht das mit einem? Es war halt keine normale Karriere bei mir. Ich hatte schon in der Jugend schwere Verletzungen. Dann überhaupt den Sprung zu den Profis zu schaffen, war absolut nicht selbstverständlich. Genauso wenig, wie nach all‘ diesen schweren Verletzungen immer wieder zurückzukommen. Mit 26 hat es mich richtig hart erwischt, da war im Knie eigentlich alles durch. Und ich bin trotzdem noch ganz schön lange in der Bundesliga geblieben.

Wie haben Sie das geschafft? Mit meiner Einstellung, mit meinem Willen. Ein bisschen Quälerei gehört doch dazu (lacht).

Waren die vielen Ausfallzeiten auch ein Grund dafür, dass Sie mit 34 immer noch spielen, um den Fußball so lange wie möglich aktiv erleben zu können? Natürlich! Ich weiß es einfach zu schätzen, auf dem Platz stehen zu können. Es macht mir so viel Spaß. Die Alternative wäre, dass ich hier um den Golfplatz joggen müsste. Da sehe ich mich aber noch gar nicht.

Sie wechseln nun zu Ihrem Heimatverein, dem Oberligisten Heeslinger SC. Warum? Ich bin auf diesem Sportplatz praktisch aufgewachsen, mein Elternhaus ist direkt nebenan. Ich wohne inzwischen mit meiner Familie auch nicht weit weg. Für mich ist das ein Hobby, ich will Spaß haben. Aber wenn ich auf dem Platz stehe, will ich auch gewinnen – keine Frage!

Werden Sie Ihre legendäre Rückennummer 44 tragen? Ja, aber ganz ehrlich: Eigentlich bedeutet mir die Nummer nichts (lacht).

Warum? Alle Jungprofis bei Werder haben früher diese hohen Nummern bekommen. Ein, zwei Jahre später hatte ich die Möglichkeit, die Nummer zu tauschen, aber da war nichts Vernünftiges dabei. Genauso wie jetzt in Heeslingen. Und die Verantwortlichen dort fanden das mit der 44 ganz gut, also bleibt es dabei.

Die Fans wird es freuen. Bei Werder Bremen gehörten Sie immer zu den besonders beliebten Spielern. Haben Sie das gespürt? Durchaus, und es war schön, aber manchmal auch nicht so einfach. Durch die vielen Verletzungen konnte ich nicht so viel zeigen und zurückgeben, wie ich mir das gewünscht habe. Dann wäre es noch schöner gewesen. Aber ich will gar nicht hadern: Es ist schon toll, hier vor meiner Haustür so eine Karriere erlebt zu haben – und zwar nur hier. Das ist ja ziemlich selten.

Jetzt können Sie es ja verraten: Standen Sie auch mal kurz vor einem Wechsel? Ich wollte immer sehr früh Planungssicherheit haben. Natürlich stand immer mal wieder ein Wechsel im Raum, aber ich war nie kurz vor dem Absprung.

Wie geht Ihr Trainee-Programm bei Werder weiter, das Sie vor einem Jahr begonnen haben? Ich bin Co-Trainer der U17 und darf in der kommenden Saison noch in weitere Bereiche des Vereins reinschauen. Darauf freue ich mich schon.

Einsatz pur: Philipp Bargfrede (rechts) war bei Werder eine Arbeitsmaschine im Mittelfeld.

Einsatz pur: Philipp Bargfrede (rechts) war bei Werder eine Arbeitsmaschine im Mittelfeld. Foto: Carmen Jaspersen/dpa (Archiv)

Haben Sie bereits eine Planung über das Jahr hinaus, und welche Rolle spielt dabei ihre Ausbildung zum Kaufmann, die Sie zu Beginn Ihrer Karriere abgeschlossen haben? Das war mir damals wichtig. Jetzt schaue ich mir ein Jahr lang alles an – und dann weiß ich sicher mehr, wohin meine Reise gehen soll.

Dazu passt eine kleine Zeitreise: Was verbinden Sie mit dem 12. April 2008? Da müssen Sie mir auf die Sprünge helfen.

Es war Ihr erstes Pflichtspiel im Herren-Bereich, Einwechslung bei einer 1:3-Niederlage der U23 in Erfurt. Sind Sie sich sicher? Ich habe Dresden als mein erstes Herren-Spiel in Erinnerung. Vielleicht liegt es aber auch daran, weil dort ein gewisser Ede Geyer Trainer war, der seine eigenen Spieler von der Bank aus durchbeleidigt hat. Ich kam damals aus dem gut behüteten Jugendfußball, da war alles ziemlich ruhig – und dann so ein Kulturschock. Aber ich habe es überstanden (lacht).

18 Monate später folgte Ihr Bundesliga-Debüt gegen Eintracht Frankfurt. Behalten Sie solche Bilder im Kopf? Klar, daran erinnere ich mich gerne. In der Saison davor hatte ich in der U23 viele Verletzungen. Deswegen habe ich in der Vorbereitung zwei, drei Wochen früher angefangen und habe mich von unserem Fitmacher Jens Beulke über den Platz scheuchen lassen. Da war ich zum Trainingsauftakt schon richtig fit, hatte eine starke Vorbereitung und bin deshalb auch gleich am ersten Spieltag eingewechselt worden. Ich weiß nicht, ob ich jemals in meiner Karriere noch einmal so topfit war.

Wirklich? Ja, das muss ich leider so sagen. Aber da war ich auch extrem fit. Ich konnte voll durchziehen.

Und mit so Stars wie Frings, Mertesacker, Fritz und Borowski auf dem Platz stehen. Wie war das? Ich war ja nie ein Spieler, der sich größer gesehen hat, als er war. Ich bin immer sehr demütig gewesen, gerade als junger Spieler. Ich war einfach froh und glücklich, dabei zu sein und mich schnell durchsetzen zu können.

Der damalige Sportchef Klaus Allofs hat Ihnen früh prophezeit, Werders nächster Nationalspieler zu sein. Was macht das mit einem jungen Spieler? Ich konnte das alles schon vernünftig einordnen. Außerdem haben wir damals ja noch international gespielt, da hast du alle drei Tage irgendwo auf dem Platz gestanden. Da blieb fast keine Zeit, viel zu träumen, du musstest ja deine Leistung bringen. Und nach dem ersten Spiel gab es eine Krisensitzung – nach einem Unentschieden gegen Tottenham. Das muss man sich mal vorstellen, so hoch war unser Anspruch. Werder hat ja damals immer international gespielt.

Und kommt Werder da wieder hin? Ich hoffe es. Die Zeiten haben sich allerdings sehr geändert. Damals gab es kein Leipzig und keine Scheichs, die sich in den Fußball eingemischt haben.

2020 haben Sie nach dem Happy End in der Relegation keinen neuen Vertrag mehr bekommen. Wie schmerzhaft war das? Es war nicht einfach, aber es gehört zum Geschäft dazu. Natürlich habe ich mir einen anderen Abschied gewünscht.

Waren Sie sauer auf Sportchef Frank Baumann und Trainer Florian Kohfeldt, die Sie schon ewig kannten? Einverstanden war ich nicht, aber das ist der Job. Für mich war das schnell Schnee von gestern.

Das passt, denn Sie sind schon im nächsten Winter zu Werder zurückgekehrt – in die U23. Warum? Ich hatte vorher schon die Option auf einen Anschlussvertrag bei Werder. Mögliche Wechsel ins Ausland machten wegen Corona keinen Sinn mit Familie. Da war Werder eine gute Lösung, weil ich unbedingt noch kicken wollte.

Und im Abstiegskampf hat Sie dann Kohfeldt um Hilfe bei den Profis gebeten, aber Sie konnten den Super-GAU auch nicht mehr verhindern und sind jetzt quasi ein Absteiger. Nein, nein, nein – ich bin kein Absteiger! Ich bin gefragt worden und habe natürlich gerne geholfen. Aber ich bin in der Bundesliga nur einmal eingewechselt worden, mehr war das nicht.

In der U23 waren Sie dann länger dabei und konnten den Abstieg nicht verhindern. Wie sehr nagt das an Ihnen? Das war enttäuschend für alle und eigentlich auch unnötig. Das darf dir auf keinen Fall als U23 passieren. Natürlich gibt es mehrere Gründe dafür. Wir hatten viele Verletzte, einige konnten ihre guten Leistungen aus der Vorsaison nicht bestätigen – und wir haben oft nicht gut gespielt. Und wenn du dann am letzten Spieltag in der 87. Minute 2:1 vorne liegst und dir ein Unentschieden reicht, du aber noch 2:3 verlierst, dann steigst du auch verdient ab.

Sie haben es aus der eigenen Jugend zum Profi geschafft: Worauf kommt es für ein Talent an? Man muss mehr tun als andere. Harte Arbeit wird belohnt. Das klingt einfach, aber man muss sich schon quälen können. Niclas Füllkrug ist da ein gutes Beispiel für. Was der für Rückschläge einstecken musste, und er hat immer wieder fleißig gearbeitet. Schön, dass er jetzt belohnt wurde.

Sind die heutigen Talente nicht mehr bereit, sich derart zu quälen? Das will ich gar nicht sagen. Die Jungs haben ja auch noch andere Dinge zu erledigen, die Schule zum Beispiel. Dann kommt vielleicht die erste Freundin. Das ist nicht immer so einfach. Aber grundsätzlich bin ich da schon bei Hermann Gerland. Der hat mal gesagt: ,Belastungssteuerung? Ich muss doch überhaupt erstmal belasten, um meine Grenzen zu entdecken, bevor ich wieder runterfahre.‘ Natürlich muss man das individuell betrachten, aber als erstes sollte immer gelten: Gas geben!

Was würden Sie gerne im heutigen Fußball ändern? Den Videobeweis brauche ich nicht. Du kannst ja nix mehr Verbotenes machen auf dem Platz (lacht). Ein paar Nickligkeiten gehören doch dazu, aber jetzt kommt alles ans Tageslicht.

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