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Dieser Chefarzt erklärt, was Lärm mit unseren Ohren macht

Wann ist ein Mensch schwerhörig und wie kann die Medizin helfen? Im Interview erklärt Dr. Elias Scherer, Chefarzt der HNO-Klinik im Rotenburger Krankenhaus, was Lärm mit unseren Ohren macht und wie wichtig es ist, Mittelohrentzündungen zu behandeln.

Privatdozent Dr. med. Elias Scherer ist seit 2016 Chefarzt der HNO-Klinik im Diakonieklinikum Rotenburg und klärt zum Thema Schwerhörigkeit auf.

Privatdozent Dr. med. Elias Scherer ist seit 2016 Chefarzt der HNO-Klinik im Diakonieklinikum Rotenburg und klärt zum Thema Schwerhörigkeit auf. Foto: Harder-von Fintel

Was ist Schwerhörigkeit und wie funktioniert das Hören? Der Schall wird von der Ohrmuschel und dem Gehörgang eingefangen und auf das Trommelfell weitergeleitet. Die Schwingungen des Trommelfells werden dann über die Gehörknöchelchen an die Hörschnecke übertragen. Trommelfell und Gehörknöchelchen verstärken den Schall. In der Hörschnecke wird der Schall durch die Innenohrflüssigkeit im Sinne einer Wanderwelle weitergeleitet. Der Schall wird dabei frequenzspezifisch in der Hörschnecke abgebildet, über die Haarzellen auf den Hörnerv übertragen und als elektrisches Signal an das Hörzentrum im Gehirn weitergeleitet, wo er wahrgenommen wird. Alles, was diese Schallübertragung vom Ohr bis zum Hörzentrum stört, führt zu einer Schwerhörigkeit.

Wie entsteht eine Schwerhörigkeit? Wie gesagt können die Ursachen der Hörminderung im äußeren Ohr, Mittel- und Innenohr, aber auch im Bereich des Hörnerven und der weiteren Hörbahn bis zum Hörzentrum liegen. Häufige Ursachen im äußeren Ohr sind Ohrenschmalz und Gehörgangsentzündungen. Die nächste Station ist das Trommelfell und das Mittelohr. Dort entstehen ebenfalls häufig Entzündungen.

Wie wirkt sich eine Mittelohrentzündung aufs Gehör aus? Bei einer Mittelohrentzündung sammelt sich Flüssigkeit im Mittelohr an. Die Flüssigkeit behindert die Schallübertragung und der Patient hört schlecht. Die Flüssigkeit kann sich durch Bakterien, die aus dem Nasenrachen über die Ohrtrompete ins Mittelohr aufsteigen, superinfizieren und eitrig werden. Dann hat der Patient zusätzlich Ohrenschmerzen und oft auch Fieber. Bei Kindern passiert das häufig, wenn sie verschnupft sind. Die Entzündung startet in Nase und Nasenrachen. Die entzündeten Adenoide im Nasenrachen („Polypen“) schwellen an. Dann kann keine Luft mehr in das Mittelohr gelangen, es bildet sich ein Erguss und die Bakterien haben ein leichtes Spiel. Wenn die Kinder dieses Problem häufig haben, sollten die „Polypen“ entfernt und der Erguss im Mittelohr, über einen Trommelfellschnitt, abgesaugt werden, damit die Kinder wieder hören können. Bei hartnäckigen Ergüssen ist zusätzlich die Einlage eines Röhrchens ins Trommelfell nötig.

Was, wenn das nicht erkannt wird? Dann können sich chronische Mittelohrentzündungen entwickeln. Das war vor einigen Jahrzehnten noch sehr häufig. Ohne Operation ist oft das Trommelfell geplatzt, der Eiter ist abgelaufen. Es entstand ein Loch im Trommelfell, was nicht zwangsläufig wieder abheilte.

Hört sich nicht gut an... Mit einem Loch im Trommelfell hört der Patient schlecht. Die Entzündung im Mittelohr kann auch die Gehörknöchelchen beschädigen, wodurch der Patient ebenfalls schlecht hört. Schlimmer ist jedoch, wenn die Entzündung sich ins Innenohr, Gehirn oder in andere Bereiche ausbreitet. Das heißt, die Komplikationen von akuten Mittelohrentzündungen sind gar nicht so ungefährlich. Früher sind die Menschen daran auch gestorben. Das ist nun zum Glück sehr selten. Aber zu spät behandelt, bleibt es nicht ungefährlich.

Was führt noch zu Schwerhörigkeit? Wenn die Hörschnecke nicht mehr richtig funktioniert, manifestiert sich das als Hörsturz. Ausgelöst wird er durch Entzündungen oder eine Durchblutungsstörung. Dann fällt der Strom für die Haarzellen aus und sie können den Schall nicht mehr in einen elektrischen Impuls umwandeln.

Wie behandelt man einen Hörsturz? Das Medikament der Wahl ist Cortison. Warum? Weil Cortison sowohl gegen Entzündungen wirkt als auch Schwellungen zurückbilden kann, die bei einer Entzündung oder Durchblutungsstörung entstehen. Dadurch kann sich das Innenohr rascher erholen und seine Funktion wiederaufnehmen. Cortison in hohen Dosen verbessert auch die Durchblutung.

Wie äußert sich ein Hörsturz? Ist es das klassische Piepen? Der Patient hat das Gefühl von Watte im Ohr. Er weiß nicht, ob der Gehörgang verlegt ist oder er tatsächlich schlechter hört. Das kann mit einem Piepen oder Rauschen im Ohr einhergehen. Um die Ursache zu klären, braucht der Patient einen HNO-Arzt.

Wie erkennt der HNO-Arzt den Hörsturz? Er schließt zunächst ein Problem im äußeren Ohr und am Trommelfell aus, indem er eine Ohrmikroskopie durchführt. Ist hier alles in Ordnung, führt er einen orientierenden Hörtest mit der Stimmgabel durch. Dieser Test ist schnell und sehr aussagekräftig und kann schon grob zwischen einer Schallleitungs- und einer Schallempfindungsschwerhörigkeit unterscheiden. Weiterführend ist dann das Tonschwellenaudiogramm. Damit kann das Ausmaß der Hörminderung über das gesamte Frequenzspektrum im Bereich der Luft- aber auch der Knochenleitung bestimmt werden. Innenohrschwerhörigkeiten wie der Hörsturz führen zu einer Schallempfindungsschwerhörigkeit. Entzündungen des Mittelohres hingegen zu einer Schallleitungsschwerhörigkeit - der Schall wird nun über den Knochen besser übertragen als über die Luft. Schallleitungsschwerhörigkeiten können in der Regel operativ verbessert werden. Bei Schallempfindungsschwerhörigkeiten wie beim Hörsturz oder Knalltrauma wird medikamentös behandelt, während bei den langsam fortschreitenden Formen, zum Beispiel Altersschwerhörigkeit, meist Hörgeräte zum Einsatz kommen. Es gibt aber auch Probleme rund ums Hören, die außerhalb meines Gebietes liegen. Zum Beispiel entzündliche Veränderungen des Gehirns wie die multilpes Sklerose, aber auch gutartige Tumore, die auf die Hörbahn drücken.

Wie viel Lärm verträgt das Ohr? Lärm führt zum Absterben der Haarzellen. Bis zu einem gewissen Grad können sich die Haarzellen noch von Lärm regenerieren. Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Sind die Haarzellen einmal abgestorben, wachsen sie aber nicht mehr nach.

Was ist denn dieses Piepen im Ohr? Das Piepen im Ohr, auch Tinnitus genannt, hat unterschiedliche Ursachen. Es kann ein Insekt auf dem Trommelfell liegen. Auch ein Gefäßtumor im Mittelohr kann einen pulssynchronen Tinnitus auslösen. Das sind aber seltene Ursachen. Meistens entstehen Ohrgeräusche, wenn der Patient schlechter hört.

Heutzutage wird viel Musik über Kopfhörer gehört. Was machen lautes Kinderspielzeug, Partys und Böller mit dem Ohr? Die Haarzellen im Innenohr, besonders die äußeren, sind sehr lärmempfindlich. Nach einem Diskobesuch zum Beispiel bleibt oft ein Sausen auf dem Ohr, was im Laufe der nächsten Tage verschwindet. Die Haarzellen erholen sich. Wenn das Innenohr aber immer wieder hohen Lautstärken ausgesetzt wird, sterben die äußeren Haarzellen ab und der Schaden, die Hörminderung, bleibt für immer.

Haben Sie beobachtet, dass heutzutage mehr jüngere Menschen mit Hörproblemen zu Ihnen kommen? Ja, auf jeden Fall!

Wie viel Konzert ist gesund und sollte man dann Ohrstöpsel mitnehmen? Das kommt immer auf die Lautstärke an. In einem Rockkonzert ist es empfehlenswert, das Gehör zu schützen.

Ist Schwerhörigkeit vererbbar? Manche Formen schon. Es gibt Mutationen von Genen, die in Europa häufig auftreten. Betroffen sind dann meist Kinder von Eltern, die beide zwar das mutierte Gen haben, aber selbst nicht darunter leiden, weil sie noch ein gesundes Gen haben. Wenn das Kind von beiden Eltern das kranke Gen erbt, führt das schon früh zu einer Schwerhörigkeit.

Wann hilft kein Hörgerät mehr? Je weniger der Patient hört, desto schwieriger wird es, die Informationen von leise bis laut mit dem Hörgerät zu komprimieren. Ist das nicht mehr möglich, dann gibt es Cochlea-Implantate, die weiterhelfen. Voraussetzung ist immer, der Patient hat vorher gehört. Deshalb ist es so wichtig, bei Säuglingen früh zu erkennen, ob sie taub sind. Je früher ein taubes Kind ein Implantat erhält, desto besser sind die Chancen auf eine gute Sprachentwicklung.

Heute haben viele Kinder Röhrchen in den Ohren. Früher gab es das nicht, woran liegt das? Sind die Kinder anfälliger oder ist es eine Einnahmequelle fürs Krankenhaus? Die Entwicklungen der modernen Ohrenheilkunde war erst durch die Erfindung des Operationsmikroskops durch Carl Zeiss möglich. Erst mit Hilfe der Operationsmikroskope sind die feinen Mittelohroperationen von der Einlage eines Paukenröhrchens bis zur Rekonstruktion des Mittelohres möglich. Heute weiß man, dass gerade bei Kindern eine frühzeitige Beseitigung der Schwerhörigkeit ganz wesentlich für die Sprachentwicklung ist. Auch chronische Verläufe, die nicht selten gefährliche Komplikationen mit sich bringen, können so meist vermieden werden. Ganz im Gegenteil, diese Eingriffe werden sehr schlecht bezahlt und sind mittlerweile sogar defizitär, so dass insbesondere die Kinder häufig lange auf eine Operation warten müssen.

Was sollte beherzigt werden, um immer gut hören zu können? Man sollte sich möglichst wenig Lärm aussetzen, um der Entwicklung einer Schwerhörigkeit vorzubeugen. Es gibt auch vorbeugende Maßnahmen gegen Gehörgangs- und Mittelohrentzündungen.

Am Schluss: Q-Tips, ja oder nein? Die sollte man grundsätzlich nicht verwenden, weil dadurch der Ohrenschmalz oft tief in den Gehörgang geschoben wird. Dadurch entsteht ein Pfropfen auf dem Trommelfell und oft auch eine Hörminderung. Außerdem kann man mit Q-Tips das Trommelfell verletzen. Deshalb ist es besser, einmal im Jahr zum HNO-Arzt zu gehen, um das Ohr zu reinigen. Wer wenig Ohrenschmalz entwickelt, kann auch alle zwei Jahre vorbeischauen. Zu häufig sollte man den Ohrenschmalz nicht entfernen, da er antimikrobielle Enzyme besitzt. Diese natürlichen Antibiotika schützen den Gehörgang vor Entzündungen.

Zur Person: Privatdozent Dr. med. Elias Scherer ist seit 2016 Chefarzt der HNO-Klinik im Diakonieklinikum Rotenburg. Der 54-Jährige ist in Königsstein geboren, in Barcelona aufgewachsen und hat in München Humanmedizin studiert. Vor seiner Tätigkeit in Rotenburg war Scherer am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München als Oberarzt in leitender Position beschäftigt. Der Mediziner ist verheiratet und hat drei Kinder.

Kathrin Harder-von Fintel

Redaktionsleiterin Zevener Zeitung

Kathrin Harder-von Fintel ist im Landkreis Rotenburg aufgewachsen. In Hamburg hat sie Kommunikationsdesign und Art Direction studiert, es folgte ein Volontariat bei der Zevener Zeitung. Dort schreibt sie bis heute als Redakteurin. Seit 2021 leitet sie die Lokalredaktion in Zeven.

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