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David McAllister: „Ziel ist ein vollständiges transeuropäisches Gasnetzwerk“

Der Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) soll den Staaten der Europäischen Union dabei helfen, von fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig zu werden. David McAllister (CDU), Europaabgeordneter aus Bad Bederkesa, fordert ein europäisches Netz aus LNG-Terminals und Gasleitungen.

Ein Frachter für flüssiges Erdgas (LNG). Allein in Deutschland sind mehrere Terminals geplant, um LNG importieren zu können.

Ein Frachter für flüssiges Erdgas (LNG). Allein in Deutschland sind mehrere Terminals geplant, um LNG importieren zu können. Foto: picture alliance/dpa/ANP


Das Programm „REPowerEU“ soll dafür sorgen, dass Europa noch vor 2030 unabhängig von russischem Erdgas wird. Das klingt ambitioniert. Wie soll das gelingen?
In Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gilt es, unsere Energieabhängigkeit zu reduzieren. Langfristig wollen wir in der Europäischen Union ganz ohne fossile Brennstoffe aus Russland auskommen. Dieses Ziel erreichen wir besser, wenn wir als EU gemeinsam agieren und uns gegenseitig unterstützen. Bereits beschlossen ist der EU-weite Ausstieg aus russischer Kohle ab August. Beim Öl werden wir den Import bis zum Ende des Jahres um 90 Prozent reduzieren.

„REPowerEU“ beinhaltet drei Schwerpunkte: Es geht darum, mehr Energie zu sparen, die Einfuhren von fossilen Energieträgern zu diversifizieren und das Tempo der Energiewende zu erhöhen. So schlägt die Europäische Kommission unter anderem vor, die Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien zu beschleunigen. Das ist ein besonders wichtiger Punkt für uns in Norddeutschland. All diese Anstrengungen erfordern massive Investitionen. Entscheidend ist, die benötigten Mittel schnell auf Grünstromproduktion und grenzüberschreitende Infrastruktur auszurichten. Dadurch werden wir nicht nur unabhängig von Russland, sondern fördern auch unsere Wirtschaft, machen sie robuster gegen Krisen und schützen das Klima.

In Deutschland gilt seit 1. Juni ein Beschleunigungsgesetz, mit dem die Genehmigungsverfahren für den Bau von schwimmenden und festen LNG-Terminals verkürzt werden. Stade, Brunsbüttel und Wilhelmshaven sollen erste Standorte werden. Reicht das, oder müssten auch in Bremerhaven, Cuxhaven und weiteren Häfen LNG-Terminals entstehen?
Durch das Beschleunigungsgesetz wird der Bau von LNG-Terminals an den Standorten Stade, Wilhelmshaven und Brunsbüttel sowie Hamburg, Rostock und Lubmin unterstützt. Insgesamt gibt es derzeit Planungen für acht schwimmende und vier landgebundene LNG-Terminals in Deutschland. Allein die bereits akquirierten vier schwimmenden Einheiten könnten bei Vollauslastung 20 bis 40 Prozent des jährlichen Gesamtgasbedarfs in Deutschland abdecken. Die in der Planung befindlichen festen LNG-Terminals haben eine Kapazität von bis zu 20 Milliarden Kubikmeter Gas. Das entspricht rund 20 Prozent der jährlichen deutschen Gasnachfrage. Ob zusätzliche Terminals sinnvoll sind, hängt wesentlich davon ab, ob und wie ein Betrieb wirtschaftlich gestaltet werden kann.

David McAllister: „Ziel ist ein vollständiges transeuropäisches Gasnetzwerk“

Sie plädieren dafür, die LNG-Infrastruktur europäisch auszubauen. Wie stellen Sie sich das genau vor?
Die bestehenden LNG-Terminals sind in ganz Europa besser miteinander zu vernetzen. Die jüngst angekündigte Kooperation beim Ausbau der Offshore-Windenergie mehrerer Nordsee-Länder sollte hierbei als Vorbild für den gemeinsamen Aufbau der notwendigen LNG-Kapazitäten dienen. Im Rahmen des transeuropäischen Energienetzes (TEN-E) befinden sich mehrere Projekte von gemeinsamem Interesse im Bau, um die Gasversorgung zu vernetzen. Ziel ist, ein vollständiges transeuropäisches Gasnetzwerk zu errichten. So wurde zum Beispiel Anfang Mai eine Pipeline zwischen Polen und Litauen in Betrieb genommen, die das Baltikum mit LNG versorgen soll. Solche Projekte gilt es europaweit zu fördern und schneller voranzutreiben. Weitere Beispiele sind Malta und Zypern an das transeuropäische Gasnetz anzuschließen sowie eine Ferngasleitung zwischen der iberischen Halbinsel und Frankreich zu errichten. So könnten die dortigen LNG-Kapazitäten europaweit genutzt werden. Der Vorschlag der Europäischen Kommission, Erdgas gemeinsam mit der Marktkraft aller 27 Mitgliedstaaten zu beschaffen, ist ebenfalls ein sinnvoller Schritt zu einer echten Energieunion.

Auf längere Sicht will die EU aber doch aus fossilen Brennstoffen aussteigen. Wäre dann diese Infrastruktur nicht überflüssig?
Langfristig gesehen ist der Umstieg unserer Energieversorgung auf erneuerbare Energien in der Tat notwendig. „Grüner“ Wasserstoff wird dabei eine zentrale Rolle spielen, um Erdgas, Kohle und Öl in schwer dekarbonisierbaren Industrien und im Verkehrssektor zu ersetzen. Die jetzt entstehende Infrastruktur muss daher auch für den Transport und die Speicherung von Wasserstoff ertüchtigt werden. Im LNG-Beschleunigungsgesetz ist vorgesehen, dass ein Weiterbetrieb von Anlagen ab 2044 nur für klimaneutralen Wasserstoff und dessen Derivate genehmigt werden sollen. Somit spielen die neu gebauten Terminals auch in Zukunft eine wichtige Rolle, um das deutsche Ziel der Klimaneutralität 2045 zu erreichen. Damit dies in ganz Europa gelingen kann, braucht es bereits jetzt klare EU-weite Rahmenbedingungen für den Umschlag und die Lagerung von großen Mengen an grünem Wasserstoff.

Was erwarten Sie jetzt von der Europäischen Kommission konkret?
Die Kommission soll umfassend erläutern, welche Anstrengungen sie unternimmt, um die im Rahmen von „REPowerEU“ vorgegebenen Ziele bei der Energieeinsparung, der Diversifizierung von Energie und des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu erreichen. Lediglich ambitioniertere Ziele und Investitionsbedarfe zu benennen, reicht nicht aus. Die Kommission muss auch detailliert darlegen, wie die neuen Vorgaben konkret erreicht werden sollen – deshalb meine parlamentarische Anfrage. Insbesondere für den schnelleren Ausbau von erneuerbaren Energien und den Aufbau der LNG-Infrastruktur ist es erforderlich, die Genehmigungs- und Zulassungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Hier ist dringend mehr Flexibilität geboten!

Christoph Bohn

stellv. Redaktionsleiter SONNTAGSjOURNAL

Christoph Bohn (Jahrgang 1968) ist in Bremerhaven geboren und im Cuxland aufgewachsen. Er hat in Bremen Wirtschaftswissenschaft und Politik studiert und ist Diplom-Ökonom. Nachdem er zweieinhalb Jahre als Controller beim Hanstadt Bremischen Hafenamt gearbeitet und nebenbei schon frei als  Journalist für die NORDSEE-ZEITUNG gearbeitet hatte, entschloss er sich zu einem Volontariat (1998-2000). Danach fing er als Redakteur beim SONNTAGSjOURNAL an (Schwerpunkte: Wirtschaft und Landkreis Cuxhaven).

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