Bremerhaven

Was wir von Kapitänen in der aktuellen Krise lernen können

Pandemie. Krieg in Europa. Unsicherheit. „Wir brauchen Mut statt Wut“, sagt Autor Stefan Kruecken. Mit Blick aufs Meer, wo Kapitäne Krisen meistern, hat er im neuen Buch den Kurs gesetzt, wie wir Menschlichkeit und Gemeinsinn zurück an Land holen.

Blick auf den Nordatlantik

Solche Bilder prägen die Skua-Tour, die der Ankerherz-Verlag anbietet. Kapitäne bewältigen oft kritische Situationen auf See. Foto: Stefan Kruecken

Vom stürmischen Nordatlantik hat es Autor Stefan Kruecken fast nahtlos in eine Halle nach Leipzig geweht. Den ersten Vorbestellern seines neusten Buches „Das muss das Boot abkönnen“ hat er eine signierte Ausgabe versprochen - nun muss er über tausend Unterschriften leisten.

Und das war nur die Order der ersten zwei Tage. Einen Wegweiser für einen Weg durch die aktuelle Krise, das wünschen sich offenbar viele Fans des Ankerherz-Verlags. Im Interview verrät er, was ihm wichtig ist.

Herr Kruecken, Sie kommen gerade von der Skua-Tour des Ankerherz-Verlags zurück. Im November fahren Sie mit Lesern über den Nordatlantik nach Island und Färöer - wie war das?
Stürmisch, mit sechs bis sieben Meter hohen Wellen und ordentlich Sturm von vorne. Das hat Spaß gemacht. Wir haben viel gesungen und gelesen. Es war auch Peter Burhorn dabei, ein alter Kapitän aus Bremerhaven, der von seiner Zeit auf der „Pamir“ berichtet hat. Oft ist die Fähre „Norröna“ das einzige Schiff weit und breit auf diesem wilden Ozean. Denn da fährt sonst niemand zu dieser Zeit, nur das Versorgungsschiff. Wir haben die Tour ja schon öfter angeboten und immer kommen 60 Fremde zusammen, die nach der Tour vielleicht nicht Freunde sind, aber die etwas verbindet. So ein Erlebnis schweißt zusammen.

Ist Ihnen bei so einer Tour mit Wind und Wetter auch die Idee zum neuen Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gekommen?
Nicht bei der Skua-Tour. Aber ich finde, wir sind in der aktuellen Lage, in der nichts sicher scheint, doch derzeit alle in einem Sturm unterwegs. Jeder sucht sich seinen Kurs, als Person, als Familie, als Paar, als Firma. Wir erleben eine Pandemie, einen Krieg in Europa und dessen Folgen. Die Bedrohung unserer Demokratie. Das alles betrifft jeden. Und ich habe mich gefragt, wer kann für uns ein Wegweiser sein? Und da war für mich klar, wenn sich einer mit Krisen auskennt, dann sind es Kapitäne, die viel erlebt haben.

Und da haben Sie alle Gespräche der vergangenen Jahre noch einmal neu betrachtet und ausgewertet?
Ich habe in den vergangenen Jahren so um die 150 Kapitäne und Seeleute interviewt, es können auch 170 gewesen sein. Und da habe ich einige Muster erkannt. Mein neues Buch soll ein Wegweiser durch eine Zeit sein, in der es keine Konstanten mehr gibt, in der vieles, was wir sicher glaubten, plötzlich fragil ist.

Ohne zu viel aus dem Buch zu verraten, das ab sofort erhältlich ist - was können wir denn lernen?
Kapitäne bereiten sich, ihr Schiff und die Mannschaft auf den Sturm vor. Sie bewahren Ruhe und sind beharrlich. Da gibt es das Beispiel des dänischen Kapitäns aus den 1950er Jahren. Die Ladung war im Sturm verrutscht und man riet ihm, das Schiff aufzugeben. Doch er wollte nicht, er glaubte daran, dass er das Schiff retten kann und blieb, steuerte durch den Sturm. Schlepper wollten ihn zum Nothafen bringen und die „New York Times“ wurde auf diese Geschichte aufmerksam. Immer mehr Medien berichteten und plötzlich nahmen auf der ganzen Welt Menschen Anteil am Kampf dieses Kapitäns, der so viel Durchhaltevermögen bewies. Am Ende, auch das erzähle ich im Buch, hat er es nicht ganz geschafft. Aber er wurde Inspiration für viele. Es gibt ein ähnliches Beispiel aus Cuxhaven: Einen Kapitän, der während eines Trawler-Brands im Überlebensanzug auf dem Schiff ausharrte, es rettete und schon einige Wochen später wieder damit auf Fangfahrt ging.

Solche Geschichten können uns Mut machen, selbst Vorbild zu sein. Mut statt Wut ist ja auch eine Aussage, die im Buch fällt?
Ja. Kapitäne müsse oft auch einsame Entscheidung treffen, an ihrem Verhalten orientieren sich andere.

„Da muss man auch mal Gegenwind einstecken und dahin gehen, wo es wehtut.“

Ich dachte beim Lesen sofort, dass jeder auch mal sein eigenes Verhalten in der Pandemie reflektieren und daran messen kann. Aber neben dem Kapitän kommt es doch auch auf die Mannschaft an? Ich habe jüngst Michael Palins Buch über das tragische Ende der „Erebus“ gelesen, die so viel anders verlaufen ist als beispielsweise Antarktis-Expeditionen mit der „Endurance“, die noch auswegloser erschienen.
Lustig, dass Sie das sagen, denn auch ich ziehe Kapitän Shackleton als Beispiel im Buch heran. Er hat die Crew miteinbezogen, sie motiviert und einen Gemeinsinn entwickelt, der vielleicht den Unterschied gemacht hat. Ein Kapitän aus Bremerhaven hat einmal einen Satz gesagt, den ich sehr passend finde: „Wenn das Schiff in Ordnung ist, die Crew zusammenhält und ich die richtigen Entscheidungen treffen, dann ist es egal, wie schlimm der Sturm ist.“

Sie haben sogar ein ganz aktuelles Beispiel aufgegriffen: Krabbenfischer Sönke Thaden aus Fedderwaddersiel hat vor wenigen Wochen die Krabben Krabben sein lassen, um einem in Seenot geraten Segler zu helfen, der auf Kollisionskurs mit einem Containerriesen vor Bremerhaven war. Es war Rettung in letzter Minute und für viele war das heldenhaft. Gibt es Helden denn auch an Land?
Jeder von uns kann und muss etwas dazu beitragen, damit unser Boot - unsere Gesellschaft - die Krise übersteht. Gemeinsinn in den Vordergrund stellen, sich selbst zurückzustellen. Wenn wir unsere Freiheit und unsere Werte verteidigen wollen, geht das nicht mit einer Tüte Chips und Beine hochlegen. Da muss man auch mal Gegenwind einstecken und dahin gehen, wo es wehtut. Ich hoffe, dass mein Buch den Lesern Mut macht.

Wir verlosen fünf Bücher

Wir verlosen fünf Exemplare von Stefans Krücken „Das muss das Boot abkönnen“, erschienen im Ankerherz-Verlag, 29,90 Euro, ISBN 978-3-945877-53-1. Einfach bis einschließlich 15. Dezember mailen an online@nordsee-zeitung.de

Zitat aus „Das muss das Boot abkönnen“: „Ich finde, wir brauchen in dieser Lage mehr Vorbilder wie Kutterkapitän Thaden aus Fedderwardersiel. Jetzt heißt es: handeln und helfen und auf Kurs bleiben für das, was einem wichtig ist. Auch und gerade im Sturm, denn Schönwettersegeln bei leichter Brise mit Wind von achtern, das kann jeder. Es zählt, wenn ein Sturm aufzieht und es hart von vorne kommt. Wir brauchen Mut statt Wut.“

Zur Person

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, arbeitete als Polizeireporterfür die Chicago Tribune und berichtete als Reporter weltweit für Magazine wie Max, Stern oder GQ. Kruecken ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt mitsamt zwei Hunden in einem Dorf bei Hamburg. 2007 gründete er den Ankerherz-Verlag.
Blick von der Fähre.

Solche Ausblicke liebt Kruecken, der sich regelmäßig in der Sturmsaison über den Nordatlantik wagt. Im Hafen wartet herbstliches Idyll. Foto: Stefan Kruecken/Ankerherz-Verlag

Stefan Kruecken

Stefan Kruecken, Inhaber des Ankerherz-Verlages und Autor". Foto: Ankerherz-Verlag

Maike Wessolowski

Reporterin

Maike Wessolowski wurde in Remscheid geboren. Die ausgebildete Reiseverkehrskauffrau und Reporterin lebte und arbeitete in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen, bis sie 2018 in Bremerhaven festmachte. An der Region schätzt sie: Menschen, Maritimes, Möglichkeiten.

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