Cuxland

Klimaforscher Schellnhuber: Düstere Prognosen und eine überraschende Lösung

Der weltbekannte Klimaforscher Professor Hans Joachim Schellnhuber ist auf dem Holzweg. Welche Herausforderungen durch den Klimawandel auf unsere Zivilisation zukommen und warum Holz ein Teil der Lösung sein könnte, erklärte er in Bad Bederkesa.

Ein Feuerwehrmann steht vor einer Wand aus Feuer.

Brände und Überschwemmungen sorgten diesen Sommer in Griechenland für Angst und Schrecken. Foto: Marios Lolos

Er trifft sie alle. Obama, Merkel, das japanische Kaiserpaar - kommende Woche dann King Charles. Doch vorher macht der weltweit renommierte Klimaforscher Professor Hans Joachim Schellnhuber einen Halt in Bad Bederkesa.

Leiter Dr. Jörg Matzen scheint es selbst kaum glauben zu können, Schellnhuber auf der Fachtagung „Klimawandel - Klimaanpassung“ im Evangelischen Bildungszentrum begrüßen zu können. In den folgenden eineinhalb Stunden wird der Wissenschaftler eine Zukunft an die Wand werfen, die alle kennen sollten, aber die meisten ob der Tragik wohl verdrängen. Das ist dem Klima-Profi bewusst, wenn er seine Gäste warnt: „Nach dem ersten Teil meines Vortrags sollten Sie deprimiert sein.“ Doch im zweiten Teil, so verspricht er, folgt eine Lösung, die unsere Zivilisation vor dem Schlimmsten bewahren könnte.

Katastrophen am laufenden Band

Im Juli gab’s den heißesten Tag aller Zeiten - im heißesten Sommer aller Zeiten. Vor den großen Augen seines Publikums breitet Schellnhuber die Katastrophen dieses Sommers noch einmal aus: In Kanada verbrennt eine Waldfläche in der Größe Deutschlands, auf Hawaii breiten sich Brände mit 130 Stundenkilometern aus, in Griechenland und Italien folgt dem Feuer das Wasser. Die Welt sah Katastrophen am laufenden Band. Schellnhuber: „Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr. Es ist das Jahr, in dem wir alle wissen, dass wir tief in der Klimakrise sind.“

Wissenschaftler könnten lediglich Erklärungen für Teile der Erscheinungen liefern. „Aber niemand kann erklären, warum das Gesamtsystem außer Rand und Band geraten ist.“ Wir sollten beten, ruft er auf, dass es sich um zufällige Konstellationen von verschiedenen Parametern handele und „wir nicht vor einem Kipppunkt stehen“.

 Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Schellnhuber

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Schellnhuber ist emeritierter Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), das er 1992 gegründet hat. Schellnhuber ist Distinguished Visiting Professor an der Tsinghua University (Beijing) und Mitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften wie der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Nationalen Akademie Leopoldina und der US National Academy of Sciences. Er hat rund 300 wissenschaftliche Artikel und Bücher veröffentlicht und zahlreiche Preise gewonnen. Foto: Gallas

Zwei-Grad-Ziel nicht zu halten

Denn neben den Auswirkungen, die wir hier in den Nachrichten verfolgen und Menschen in anderen Teilen Europas und der Welt bereits heftigst zu spüren bekommen, geschehen ungeheure Dinge.

Die Globale Mitteltemperatur geht aus dem Normalbereich weit heraus. Genauso wie bei der Oberflächentemperatur der Ozeane, am bestürzendsten seien die Zahlen im Nordatlantik (Für jeden täglich aktuell einsehbar auf climatereanalyzer.org der Universität Maine).

Selbst, wenn ab sofort jede beschlossene Maßnahme zur Eindämmung der Klimakrise zu 100 Prozent umgesetzt würde - das völkerrechtlich im Pariser Abkommen beschlossene Zwei-Grad-Ziel würde bis zum Ende des Jahrhunderts gesprengt. Ein Drittel der Weltbevölkerung würde nicht mehr in bewohnbaren Zonen leben und früher oder später ihr Land verlassen.

Wo werden Menschen leben?

„Das, was wir heute im Mittelmeer erleben, wo tagtäglich Menschen sterben, was niemanden mehr kümmert, das würde sich dann nicht mehr in einer Skala von Hunderten von Menschen abspielen, sondern Millionen oder Milliarden. Dann würde unsere Zivilisation in Blut versinken.“ Mit Blick auf die jetzt schon heraufbeschworene „Festung Europa“ macht er deutlich: „Wir könnten niemals, niemals Hunderte von Millionen Menschen friedlich umsiedeln. Und wenn man das weiß, kann man nachts sehr schlecht schlafen.“

Was aber muss dann das neue Ziel sein? Den „Ausflug“ darüber hinaus so kurz und so klein wie möglich halten, „und dann wieder zurückkehren zu einem Klima, das mit unserer Zivilisation verträglich ist“. Deswegen gilt seine ganze Aufmerksamkeit der „Klimarestaurierung“. Dazu bräuchte es negative Emissionen. CO2 müsste aus der Atmosphäre entnommen werden. Schellnhuber setzt dabei auf eine natürliche Lösung, die er selbst vor sieben Jahren noch nicht gesehen hat. Holz müsse die Hauptbaustoffe Stahl und Beton ersetzten, bei deren Herstellung allein viel CO2 produziert werde.

So soll Holz zur Lösung werden

Ein Baum wächst, betreibt Fotosynthese, nimmt CO2 auf. Wenn er verrottet, geht dies wieder in die Atmosphäre zurück - klimaneutral. „Was wäre aber, wenn wir heute Bäume ernten, und sie werden verwandelt in Holzhäuser und andere Strukturen die 200, 300 Jahre halten?“ Er spricht davon, CO2 in Gebäuden zu versiegeln. Zum Tragen kommt dieser Ansatz besonders mit Blick auf die Entwicklung der Weltbevölkerung, die auf 10 bis 11 Milliarden Menschen laut Prognosen steigen soll. „Die Schlacht um das Klima und die Nachhaltigkeit wird auf dem Feld der gebauten Umwelt gewonnen“, ist Schellnhuber sich sicher. Städte müssten sich transformieren, zu organischen Orten werden. Dazu müsste massiv aufgeforstet werden - ausreichend Fläche sei da.

Einige Gäste hätten gerne mit dem Professor diskutiert. Das war jedoch nicht vorgesehen. Stattdessen endet der Abend mit der Suche nach Hoffnung. Woher nehmen bei diesen Aussichten? Aus der Zivilgesellschaft, betont Schellnhuber. Die Politik sei nur dann bereit, weiterzugehen und mutiger zu entscheiden, wenn in der Zivilgesellschaft eine gute Geschichte entstünde, von der die Menschen wollten, dass sie umgesetzt werde und in der sie auch selbst vorkommen wollten. „Sie sind Teil der stärksten Kraft, um unsere Zivilisation zu bewahren“, richtet Schellnhuber sich noch einmal eindringlich an sein Publikum, „das sind große Worte, aber sie sind trotzdem wahr.“

Katja Gallas

Reporterin

Katja Gallas ist seit Januar 2022 als Reporterin im Cuxland unterwegs. Nach ihrem Studium der Skandinavistik und Europäischen Ethnologie in Freiburg und dem Master Kultur – Sprache – Medien in Flensburg, volontierte sie bei der NZ und arbeitete als Online-Redakteurin.

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